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Die Ströme des Namenlos

Emma Waiblinger

Emma Waiblinger

Die Ströme des Namenlos

Erstes Buch

Es gibt Zeiten und Stunden und halbe Nächte, in denen ich immerfort über die Ehe meiner Eltern nachdenken muß. Und manchmal scheint mir, mein Leben sei, als es mir noch unbewußt war und in meiner Mutter beschlossen, schöner und mächtiger und reicher gewesen, als nachher, da ich es selbst lebte. Alles, was ich erfahre und erlebe, ist mir manchmal nur wie das Licht, das immer heller wird, womit ich das Dunkel und Heiligtum meines Elternhauses sehen kann; und mit jedem Jahr wird es mir klarer und deutlicher, wie traurig und verworren-schön meine Mutter mit dem Vater lebte.

Er war schwermütig und öfters, besonders gegen das Ende seines Lebens hin, geistig gestört. Er war von Jugend an so, galt aber in normalen Zeiten für einen begabten, strebsamen Menschen und lernte das Uhrmacherhandwerk, das ihn und seine Familie auch bis zu seinem Tod getreulich ernährte. Er hing mit seltsamer, zäher Zärtlichkeit an – seiner Kunst – hätte ich beinahe gesagt und redete stundenlang mit seinen Uhren, innig und leise, wie nie mit einem Menschen. Als er noch Geselle bei einem Meister in meiner Vaterstadt war, lernte er meine Mutter kennen, die im gleichen Haus als Dienstmagd in Stellung war. Es hängt in unserer oberen Stube ein Bild, das meine Mutter in diesen Jahren darstellt, und heute noch betrachte ich es oft erstaunt und freue mich darüber. Sie war groß und schön und sah sehr glücklich aus. Ihr Haar, das ich mir nie anders als schneeweiß vorstellen kann, war damals noch dunkelbraun und lief ihr weich ums Gesicht. Ihre Augen aber waren heller und glänzender als später, und sie hatte schöne, ganz rote, lächelnde Lippen. So sah sie wohl mein Vater, in dem geblümten Kleid und dem weißen Mädchenschurz, wie sie durch das Haus und über die Treppen lief wie das helle Licht, und er hatte sie lieb über seine Kraft. Er wollte sie heiraten, aber sie wies ihn ab. Da tat er das Arge, das ich heute noch nicht sagen kann, ohne mich zu schämen: auf der Bühne des Hauses hängte er sich auf. Die Leute fanden ihn, grauenhaft verzerrt und trugen ihn für tot weg. Man brachte ihn wieder zum Leben, und als er nach langen Wochen einer schweren Gemütskrankheit genas, kam eines Tages meine Mutter zu ihm und sagte, sie hätte ihn lieb und wolle ihn heiraten.

Ein paar Wochen nach der Hochzeit schon wurde das Haar meiner Mutter grau und ihre Augen dunkler und trauriger. Es muß unsäglich schwer gewesen sein, mit dem finsteren Narren zusammen zu sein, und sie wollte ihm fortlaufen, denn sie hatte das schöne, leichte Leben so sehr lieb gehabt vorher.

Das erste Kind, das meine Mutter zur Welt brachte, war verkrüppelt und entstellt. Es schrie fast immer und man merkte, daß es vollständig blöd war. Nach wenigen Monaten starb es an Krämpfen. Es war für die Mutter gut; in jenem Jahr ist ihr Haar ganz, ganz weiß geworden.

Nicht lange nach seinem Tod trug meine Mutter ein zweites Kind unter dem Herzen. Und da begannen die Wunder, die sie für uns tat. Sie trug ihr Bett in eine Kammer unter dem Dach und riegelte abends die Tür zu; da schlief sie ungestört mit ruhigen Träumen oder lauschte zum offenen Fenster hinaus dem Gang der Nächte und fing die stillen, tiefen Lieder des Dunkels in sich auf. Und sie erwachte morgens in die helle, kräftige Sonne hinein, wusch sich die Augen frisch und klar und ließ sie überall da hin gehen, wo es hell und gut war. Sie schleppte sich die Arbeit, wenn es irgend ging, auf den kleinen, grünen Hof hinaus, der hinter dem Hause lag und saß manchen Mittag in der Sonne oder im Grünen und ließ die Nadeln klappern in die geruhige Stille hinein; oder sie ging in die Stadt hinunter, den Korb am Arm, sah in den Gassen den Kindern zu, wie sie spielten und sangen, stand auf der Brücke und blickte auf das weite, glänzende Wasser hinaus. Unter dem Betglockenläuten ging sie wieder heim und ließ in ihr Herz die tiefen, feierlichen Töne fallen. Am Sonntag war sie in der Kirche; sie hatte ihren Platz