Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie
Rudolf Eisler
Rudolf Eisler
Das Wirken der Seele: Ideen zu einer organischen Psychologie
I. Die Psyche und ihr Verhältnis zum Physischen
Die Zeiten, da man unter der Seele eine immaterielle, einfache, unzerstörbare Substanz hinter dem Bewußtsein und dessen Modifikationen verstand, scheinen nun doch vorüber zu sein. Zwar fehlt es gerade in jüngster Zeit nicht an einer dualistischen Reaktion nicht bloß gegen den Materialismus, sondern auch gegen die „Identitätstheorie“ und jeden sonstwie gearteten „Monismus“, aber erstens ist diese Reaktion nur ein neuer Vorstoß des alten Seelenglaubens, und zweitens weist sie vielfach Konzessionen gegenüber der monistischen Ansicht auf, welche bezeugen, daß es mit der metaphysischen Hypothese der absolut einfachen, dem Leibe völlig selbständig gegenüberstehenden und von ihm trennbaren Seelensubstanz rapid zu Ende geht.
Die psychologische „AktualitГ¤tstheorie“ mag sich mancher Einseitigkeiten und Гњbertreibungen schuldig gemacht haben, wie wir weiter unten zeigen werden. Aber das nimmt ihr keinesfalls das auГџerordentliche Verdienst, an Stelle der „transzendenten“, aller Erfahrung sich entziehenden Seelensubstanz mit besonderen „VermГ¶gen“ und TГ¤tigkeiten das konkrete BewuГџtsein als Inbegriff und Zusammenhang von Erlebnissen selbst gesetzt zu haben. Mit vollem Recht betont diese AktualitГ¤tstheorie[1 - Den AktualitГ¤tsstandpunkt nehmen ein: Spinoza, Hume, Fichte, Schopenhauer, Fechner, Paulsen, Wundt, JoГ«l, J. St. Mill, Spencer, HГ¶ffding, Jodl, Jerusalem, Mach, FouillГ©e, Bergson, Luquet u. a. Nach Wundt ist das geistige Leben „nicht eine Verbindung unverГ¤nderter Objekte und wechselnder ZustГ¤nde, sondern in allen seinen Bestandteilen Ereignis, nicht ruhendes Sein, sondern TГ¤tigkeit, nicht Stillstand, sondern Entwicklung“ (Vorlesungen Гјber die Menschen- und Tierseele 2,S. 495). Die innere Erfahrung ist „ein Zusammenhang von VorgГ¤ngen“ (GrundriГџ der Psychol.).] zweierlei. Erstens, daГџ die psychischen VorgГ¤nge, die BewuГџtseinserlebnisse als solche weder Schein noch bloГџe Erscheinung sind, sondern volle Wirklichkeit und Wirksamkeit haben, so daГџ also das Psychische nicht aus unerfahrbaren, hinter und unter den BewuГџtseinserlebnissen stehenden Prozessen besteht. Zweitens, daГџ das Psychische nichts starr Substantielles, Ruhendes, sondern „aktuell“ ist, daГџ es nicht Zustand einer absolut beharrenden, unverГ¤nderlichen Substanz ist, sondern in einem Zusammenhang von VorgГ¤ngen, von lebendigen Prozessen besteht, in welchen nichts sich absolut gleichbleibt. Die psychischen Gebilde sind nicht Dinge, sondern flieГџende Resultate bestГ¤ndiger Aktionen und Reaktionen, sie sind in einem unaufhГ¶rlichen Flusse begriffen und bilden die Momente einer fortlaufenden Entwicklung und Entfaltung, deren Konstanz in erster Linie formaler Art ist. Die Seele ist hiernach keine „Substanz“ im Sinne des naturwissenschaftlichen Substanzbegriffs. Dieser ist durch die Beschaffenheit des Inhalts der „äuГџeren“, sinnlich vermittelten Erfahrung gefordert; er dient zu deren objektiven Vereinheitlichung, zur Setzung fester Ansatzpunkte fГјr die Anschauung und das Denken der Objekte. FГјr die Psychologie aber ist der abstrakte Substanzbegriff ohne Nutzen, er ist hier ГјberflГјssig, weil das Zentrum, um das sich die psychischen Erlebnisse gruppieren, unmittelbar im Subjektmoment gegeben ist, und er ist sogar schГ¤dlich, weil er den konkreten Tatbestand des Erlebens leicht zugunsten eines unbekannten, mit hypothetischen oder fiktiven KrГ¤ften und Eigenschaften ausgestatteten Seelendinges verfГ¤lscht, dem Reichtum der BewuГџtseinsmannigfaltigkeit nicht genГјgt, der im Widerspruche zu der vorgeblichen „Einfachheit“ der Seelensubstanz steht, und endlich die Wechselbeziehungen zwischen Psychischem und Physischem zu einem RГ¤tsel macht. Denn alle Versuche, die „Wechselwirkung“ zwischen der einfachen Seelensubstanz und dem KГ¶rper verstГ¤ndlich zu machen, scheitern teils an der HeterogenitГ