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Der lebende Leichnam. Drama in sechs Akten (zwölf Bildern)

Leo Tolstoy

Leo N. Tolstoi

Der lebende Leichnam Drama in sechs Akten (zwölf Bildern)

Personen:

Erster Akt

Erstes Bild

Die Handlung spielt in Moskau, in Protasows Wohnung. Die Szene stellt ein kleines Speisezimmer vor

Erster Auftritt

Anna Pawlowna, eine korpulente, grauhaarige Dame, sitzt im Korsett allein am Teetisch

Zweiter Auftritt

Anna Pawlowna und die Kinderfrau, die mit einer Teekanne hereinkommt

Kinderfrau: Kann ich bei Ihnen etwas heiГџes Wasser bekommen?

Anna Pawlowna: Jawohl. Was macht der kleine Mascha?

Kinderfrau: Er ist sehr unruhig. Es ist recht übel, daß die gnädige Frau ihn selbst nährt. Sie hat so ihren Kummer, und das Kind leidet darunter. Was muß das für eine Milch geben, wenn die gnädige Frau bei Nacht nicht schläft, sondern immerzu weint.

Anna Pawlowna: Aber ich denke, sie hat sich jetzt beruhigt?

Kinderfrau: Gott bewahre! Es zieht einem das Herz zusammen, wenn man sie ansieht! Sie hat da etwas geschrieben und dabei immerzu geweint.

Dritter Auftritt

Anna Pawlowna, die Kinderfrau und Sascha, welche eintritt

Sascha (zur Kinderfrau): Lisa sucht Sie.

Kinderfrau: Ich geh schon, ich geh schon. (Ab.)

Vierter Auftritt

Anna Pawlowna und Sascha

Anna Pawlowna: Die Kinderfrau sagt, sie weint immerzu. DaГџ sie sich immer noch nicht beruhigen kann!

Sascha: Nein, Mama, Гјber Sie muГџ man sich wirklich wundern. Sie soll sich von ihrem Manne, dem Vater ihres Kindes, lossagen, und Sie verlangen, sie solle dabei ruhig sein!

Anna Pawlowna: Daß sie dabei ruhig sein soll, verlange ich nicht. Aber was geschehen ist, das ist geschehen. Wenn ich als Mutter es nicht nur zugelassen habe, sondern mich sogar darüber freue, daß meine Tochter sich von diesem Manne lossagt, so muß er das doch wohl verdienen. Nicht grämen sollte sie sich, sondern sich freuen, daß sie von einem so schlechten Subjekte, von einem solchen Goldmenschen frei kommt.

Sascha: Mama, warum reden Sie so? Sie wissen ja doch, daß das nicht wahr ist. Er ist kein schlechter, sondern im Gegenteil ein vortrefflicher, ganz vortrefflicher Mensch, trotz seiner Schwächen.

Anna Pawlowna: Na ja, ein vortrefflicher Mensch! Sobald er nur Geld in die Hände bekommt, sei es eigenes oder fremdes …

Sascha: Mama, er hat nie fremdes Geld genommen.

Anna Pawlowna: Ganz egal, das Geld seiner Frau.

Sascha: Aber er hat ja doch sein ganzes Vermögen seiner Frau hingegeben.

Anna Pawlowna: Warum hätte er es ihr auch nicht hingeben sollen, da er ja wußte, daß er sonst doch alles durchbringen würde.

Sascha: Ob er es nun durchbringt oder nicht, ich weiГџ nur, daГџ man sich von seinem Manne nicht scheiden lassen darf, und am wenigsten von einem solchen wie Fedja.

Anna Pawlowna: Nach deiner Meinung muГџ man damit warten, bis er alles durchgebracht hat und seine Zigeunerliebsten ins Haus bringt?

Sascha: Er hat keine Liebsten.

Anna Pawlowna: Das ist eben das Malheur, daß er euch alle irgendwomit behext hat. Nur mich nicht; ich durchschaue ihn, und er weiß das. An Lisas Stelle würde ich mich nicht erst jetzt von ihm losmachen, sondern ich hätte es schon vor einem Jahre getan.

Sascha: Wie Sie das nur so leichten Herzens sagen können!

Anna Pawlowna: Nein, nicht leichten Herzens. Mir als Mutter ist es ein Schmerz, meine Tochter als geschiedene Frau zu sehen. Glaube mir, daГџ mir das ein groГџer Schmerz ist. Aber es ist doch immer noch besser, als daГџ sie ihr junges Leben zugrunde richtet. Nein, ich danke Gott, daГџ sie sich jetzt entschlossen hat, und daГџ nun alles zu Ende ist.

Sascha: Vielleicht ist es doch noch nicht zu Ende.

Anna Pawlowna: Ach was! Wenn er nur erst in die Scheidung einwilligt.

Sascha: Was soll daraus Gutes hervorgehen?

Anna Pawlowna: Nun, sie ist noch jung und kann noch glГјcklich werden.

Sascha: Ach, Mama, es ist schrecklich, was Sie da sagen; Lisa kann doch keinen andern liebgewinnen.

Anna Pawlowna: Warum s