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Aus zwei Welttheilen, Erster Band.

Friedrich Gerstäcker

Friedrich Gerstäcker

Aus zwei Welttheilen, Erster Band. / Gesammelte Erzählungen

Heimweh und Auswanderung.

Skizze

Vor Jahren, und noch nicht einmal vor so gar langen Jahren, war eine Reise von mehr als zwanzig Meilen ein Gegenstand, der nicht allein jede nur erdenkliche Vorbereitung erforderte, sondern den Reisenden selbst fast wie einen tollkühnen Wagehals erscheinen ließ, der sein eigenes Leben und die Ruhe seiner Verwandten und Freunde keinen Deut hoch achtete, sondern nur, ein zweiter Robinson Crusoe, Lust habe, seine Tage unter Wilden und Cannibalen zu beschließen. Damals standen noch wohlbeleibte Wirthe mit den dicken, gemüthlichen Gesichtern in der Thür ihrer Gasthäuser und unter den an starken eisernen Stäben hin- und herknarrenden Conterfeys von rothen Drachen oder noch rötheren Potentaten, sahen die alte, wohlbekannte Landkutsche halbe Stunden lang bedächtig auf der ausgefahrenen Straße heranrasseln, und berechneten schon im Voraus, für wie viel Gäste die hochlägerigen, schneeweiß überzogenen Betten hergerichtet, wie viel Paar Pantoffel zum Wärmen an den Ofen gestellt werden müßten.

Jetzt dagegen zischen und schnauben keuchende Locomotiven ihre eiserne Bahn entlang – die Drachen und Potentaten sind (beide jedoch nur von den Wirthshausschilden) verschwunden und haben französirten Hotels – »de Leipsic, de Katzenellenbogen etc.« – Platz gemacht, und langbeinige, dünnleibige Wirthe und Kellner stürzen, mit ganzen Armladungen voll Erfrischungen, von Coupee zu Coupee, um die nie mehr einkehrenden Passagiere zu veranlassen, ihr Geld im Fluge zu verzehren.

Der Ocean hält mit dem festen Lande Schritt; sonst nannte man eine Fahrt von Hamburg nach Helgoland eine »Seereise«, jetzt heißen die, zwischen Newyork und Liverpool »spielenden«, ungeheueren Packetdampfschiffe »Fährboote«, und Pianofortes und Brüsseler Spitzen werden nach Gegenden hingeschafft, in denen noch vor kurzer Zeit Schellen und Glasperlen als Wunderwerke der Kunst galten.

Der Mensch selbst bleibt dann natürlich nicht hinter dem Fortschritt der Länder zurück – der enge Kreis, der sonst den Hausvater an die Scholle bannte die er bewohnte, wird ihm jetzt zu eng, und wenn er die Seinen nicht verlassen kann, ei nun, so nimmt er sie mit zu anderen Zonen. Ein mit dem Vaterland Zerfallener – ein »Weltschmerzdurchtobter« – dachte früher nur selten daran, die alten Ketten und Verhältnisse, die ihn bisher gebunden, abzuschütteln und auf neuem Boden, von der neuen, lebensfrischen Keimkraft einer anderen Welt durchglüht, ein ebenso neues, ein ebenso frisches Leben zu beginnen, – das Wort »Europamüde« stand noch in keinem deutschen Wörterbuch. Jetzt ziehen Tausende von ruhigen Landleuten, die bis dahin von Schiffen keine anderen kannten als Weberschiffe, und das Wasser, außer dem Hausgebrauch, nur noch zum Mühlentreiben verwendbar hielten, mit schwellenden Segeln über brausende Wogen hin, einer neuen, ferngelegenen Heimath zu, und befinden sich auch dort schon, nach ganz kurzem Aufenthalte so wohl, so bekannt, als ob sie zwischen lauter Negern und Mulatten aufgewachsen wären, und von frühester Kindheit an nichts Anderes gegessen hätten, als Maisbrod und Ananas.

Deutschland, das sonst so ruhige, gemüthliche Deutschland, ist auf Reisen gegangen; Michel hat Schlafrock und Pantoffeln ausgezogen, und am Ganges, Nil und Niger, am Amazonenstrom wie am Mississippi verlangt er von dem aufs Aeußerste erstaunten Echo, ihm »Ei du lieber Augustin« und »schöner grüner Jungfernkranz« nachzusingen.

Betritt nun der Deutsche amerikanischen Grund und Boden, und ist ihm selbst die Sprache fremd, die er von lauter fremden Menschen sprechen hört, dann erfaßt ihn gewöhnlich zum ersten Mal jenes Gefühl gänzlicher Verlassenheit, das er selbst bei dem Abschied aus der Heimath, als er den letzten blauen Streifen des Vaterlandes in nebliger Ferne schwinden sah, noch nicht empfand. Damals, in ganz neuer, fremdartiger Umgebung, wo Scene nach Scene wechse