Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band
Friedrich Gerstäcker
Friedrich Gerstäcker
Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Dritter Band
1.В Die Abendgesellschaft
In der Wohnung der Frau Gräfin sollte heute Abend große Gesellschaft sein, und die Zimmer waren deshalb alle festlich mit Blumen geschmückt, die Cigarrentische ängstlich bei Seite geschafft und einige Dutzend Stearinlichte in den verschiedenen Räumen angezündet, ja, selbst Helenens Instrument in das Empfangszimmer gebracht worden. Auf acht Uhr lautete die Einladung, und es fehlten noch etwa fünf Minuten daran, als die Frau Gräfin, in einem schweren Seidenkleid, das ihr Herr von Pulteleben extra aus Rio verschrieben und das sehr viel Geld gekostet hatte, in den Empfangssaal rauschte, um vor dem Spiegel dort ihre Toilette noch einmal zu mustern.
Helene saß am Fenster, hatte den Kopf in die Hand gestützt und schaute nach dem letzten Streifen fahlen Lichtes, der noch den westlichen Horizont begränzte, und die Conturen des malerisch eingeschnittenen Gebirgszuges scharf und deutlich in der klaren Luft abzeichnete.
»Wenn nur der Jeremias heute Alles richtig besorgt hat,« sagte die Mutter endlich und suchte vergebens in dem Spiegel eine Frontansicht von ihrem Rückgrat zu bekommen – »ich traue ihm nicht recht; er ist ein ganz entsetzlicher Mensch mit seinen Verkehrtheiten.«
»Ein Irrthum war dieses Mal in den Einladungen nicht möglich,« sagte Helene, »denn er hatte ja alle Namen deutlich aufgeschrieben.«
»Aufrichtig gesagt,« fuhr die Mutter fort, »ist es mir nicht recht angenehm, daß wir bei der heutigen Gelegenheit gerade wildfremde Menschen haben, von denen ein paar sogar mit dem früheren Director eng liirt waren. Der Baron wird wieder schön über die »bürgerliche Versammlung« die Nase rümpfen.«
»Es sollte mir leid thun,« sagte Helene gleichgültig, »wenn der alte Adel des Barons sich dadurch unangenehm berührt fände; wenn er aber unter seines Gleichen leben wollte, hätte er nicht nach Brasilien auswandern, wenigstens hier keine deutsche Colonie zum Aufenthalt wählen sollen. Der Eine der Herren ist übrigens, um Dich und den Herrn Baron zu beruhigen, von Adel, und zwar ein früherer Artillerieofficier, ein Herr von Schwartzau.«
»Und wie heißt Dein kühner Pferdebändiger?«
»In der Colonie wird er kurzweg Herr Randolph genannt; ich weiß aber nicht einmal, ob das sein Vor- oder Zuname ist – wen interessirt das auch, wenn wir nur einen Namen haben, mit dem wir ihn anreden können.«
В»Und Du nimmst weiter kein Interesse an ihm?В« fragte die Frau und sah ihre Tochter forschend dabei an.
В»Zu welchem Zweck kommen wir heute Abend hier zusammen?В« fragte Helene kalt und stolz.
»Es ist gut,« sagte die Mutter und sah nach der Uhr, die sie am Gürtel trug – »ah, schon acht Uhr, und da hör' ich auch Jemanden auf der Treppe.«
Die Thür des Zimmers wurde in diesem Augenblicke rasch geöffnet; Oskar trat herein und warf, wie gewöhnlich, seine Mütze in die Ecke.
В»Er ist's richtig,В« lachte er dabei, zu Helenen an's Fenster gehend; В»hab' ich Dir's nicht gleich gesagt?В«
»Wer ist's? Was habt Ihr nur wieder?« fragte die Mutter. »Du könntest Dich doch wenigstens heute Abend ein Bißchen zusammennehmen, Oskar, und Dein wildes, ungestümes Wesen lassen. Ist das nun eine Manier, die Mütze auf's Sopha zu werfen, wo wir jeden Augenblick unsere Gesellschaft erwarten! Wer ist wer?«
»Jener Mensch,« rief Oskar, »den wir neulich Morgens überholten, als uns die Pferde durchgegangen waren, und der Deinem Schimmel, glaub' ich, in die Zügel gesprungen, ist richtig unser heimlicher Violinspieler von früher her, hinter dem ich, wer weiß wie oft, mit einem Eimer Wasser hergekrochen bin und ihn nie habe erwischen können – aber abgewöhnt hab' ich's ihm wenigstens, daß er das Gekratze hat sein lassen.«
Helene antwortete Nichts darauf und wandte sich wieder dem Fenster zu, und Oskar, mit einer Quantität anderer Neuigkeiten im Kopfe, fuhr, ohne auf die Schwester weiter zu achten, fort:
В»Und mit