Unsichtbare Bande: Erzählungen
Selma Lagerlöf
Selma Lagerlöf
Unsichtbare Bande: Erzählungen
Peter Nord und Frau Fastenzeit
I
So traulich wie ein Heim steht das kleine Städtchen vor mir. Es ist so klein, daß ich alle seine Winkel und Ecken kennen lernen, mit jedem Kinde gut Freund werden und alle Hunde beim Namen rufen konnte. Wer über die Straße ging, wußte, bei welchem Fenster er den Blick aufschlagen mußte, um ein schönes Gesicht hinter der Scheibe zu erblicken, und wer durch den Stadtpark wanderte, kannte die Zeit, wann er da gehen mußte, um die Person zu treffen, die er treffen wollte.
Auf die schönen Rosen im Nachbargarten war man fast ebenso stolz, als wenn sie im eignen gestanden hätten. Geschah etwas, was kleinlich oder gewöhnlich war, so schämte man sich, als wäre es in der eignen Familie passiert, aber bei dem allergeringsten Ereignis, einer Feuersbrunst oder einer Marktschlägerei, brüstete man sich und sagte: „Seht nur, welches Gemeinwesen! Geschehen solche Dinge anderswo? Welche wunderbare Stadt!“
Und in dieser meiner geliebten Stadt verändert sich nichts. Komme ich wieder einmal hin, so werde ich dieselben Häuser und Kaufläden wiederfinden, die ich von altersher kenne, dieselben Gruben im Steinpflaster werden mich zu Fall bringen, dieselben steifen Lindenhecken, dieselben rundgeschnittenen Fliedersträucher meinen bewundernden Blick fesseln. Wieder werde ich sehen, wie der alte Ratsherr, der die ganze Stadt regiert, mit elefantenschweren Schritten die Straße hinabgewandert kommt. Patriarch und Vorsehung, welch ein Gefühl der Sicherheit hat man nicht, wenn man dich so wandern sieht! Und der taube Halfvorson wird noch immer in seinem Garten umhergehen und graben, während seine wasserklaren Augen suchend starren, als wollten sie sagen: „Alles, alles haben wir durchforscht, jetzt Erde, wollen wir uns bis in dein Innerstes bohren.“
Aber wer nicht mehr da sein wird, das ist der kleine runde Peter Nord. Ihr wißt doch, der kleine Wermländer, der in Halfvorsons Kramladen stand, er, der die Kunden mit seinen kleinen mechanischen Erfindungen und seinen weißen Mäusen unterhielt. Von ihm ist eine ganze Geschichte zu erzählen. Über alles und alle in der Stadt gibt es Geschichten. Nirgends geschehen so wunderliche Dinge.
Er war ein Bauernjunge, der kleine Peter Nord. Er war klein und rund, er war braunäugig und hatte ein lachendes Gesicht. Sein Haar war heller als Birkenlaub im Herbst, die Wangen waren rot und flaumig. Und ein Wermländer war er. Niemand, der ihn sah, konnte glauben, daß er aus einem andern Lande komme. Mit prächtigen Eigenschaften hatte ihn die treffliche Heimat ausgerüstet. Hurtig war er bei seiner Arbeit, rasch mit den Fingern, flink mit der Zunge, klar im Kopfe. Und dazu ein Narr, gutmütig und hoch hinaus, gefällig und streitlustig, neugierig und plapperhaft. Der Tollkopf, er war nicht imstande, einem Bürgermeister größre Ehrfurcht zu zeigen, als einem Bettler. Aber Herz hatte er, verliebt war er jeden zweiten Tag, und die ganze Stadt zog er ins Vertrauen.
Die Arbeit im Laden verrichtete dieses glücklich veranlagte Kind in irgendeiner übernatürlichen Weise. Die Kunden wurden bedient, während er die weißen Mäuse fütterte. Geld wurde gewechselt und gezählt, während er seine kleinen, selbstgehenden Wagen mit Rädern versah. Und indes er den Kunden von seiner allerletzten Verliebtheit erzählte, ließ er das Litermaß nicht aus den Augen, aus dem der braune Sirup sich sachte herabringelte. Und es machte den bewundernden Zuhörern Spaß, zu sehen, wie er plötzlich über den Ladentisch sprang und auf die Straße stürzte, wo er mit einem vorbeigehenden Gassenjungen einen Strauß ausfocht, um dann mit ruhiger Stirn in den Laden zurückzukehren und den Knoten an einem Paket zu knüpfen oder ein Stück Stoff fertig zu messen.
War es nicht natГјrlich, daГџ er der GГјnstling der ganzen Stadt wurde? Wir fГјhlten uns alle verpflichtet, bei Halfvorson einzukaufen, seit Peter Nord hingekommen war. Und selbst der alte Ratsherr war stolz, wenn Peter