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Der Erbe. Dritter Band.

Friedrich Gerstäcker

Friedrich Gerstäcker

Der Erbe. Dritter Band

1

Neue Fäden

Staatsanwalt Witte ging in einem wahren Sturmschritte auf das Amt hinauf, denn er hatte in der That keinen Moment Zeit mehr zu versäumen. Er kam dort auch wirklich im letzten Augenblick an, war aber heute – und zwar ganz gegen seine sonstige Gewohnheit – so zerstreut, daß er sich ordentlich vor sich selber schämte und nur gewaltsam alle anderen Gedanken abschüttelte, bis er sein Geschäft beendet hatte.

Es war freilich nicht zu verwundern, denn die eben gemachte Entdeckung mit ihren nach allen Seiten hin auszweigenden Folgen wollte ihm nicht aus dem Kopf, und jemehr er darüber nachdachte, desto größere Schwierigkeiten schienen sich dem rechtmäßigen Erben in den Weg zu stellen.

Wer wußte um die Sache? Niemand als das schlaue Weib, die Heßberger, und jedenfalls ihr Mann, und von denen war kein Geständniß zu erwarten, während sich der alte Baron und besonders seine Schwester erst recht nicht so weit compromittiren würden, einen beabsichtigten Kindertausch der Erbschaft wegen zuzugeben. Die Frau Baumann stand mit ihrer Erzählung ganz allein, und wenn er auch jedes Wort davon glaubte, so würde Herr Bruno von Wendelsheim doch sicher sein Recht fest behauptet und die Erbschafts-Commission ihn dabei nur unterstützt haben. Es wäre, beim Himmel, am Ende gar ein zweiter Fall geworden, wie der mit dem Major und der Madame Müller aus Vollmers, und er konnte sich dabei als Staatsanwalt unsterblich blamiren.

Und der eigentliche Erbe von fast einer halben Million, zu welcher Summe das Capital durch die langjährigen Zinsen aufgelaufen war, saß indeß fest hinter Schloß und Riegel, auf Verdacht eines Mordes oder Raubanfalles hin, den er nie verübt hatte. Witte mußte wenigstens wissen, wie es mit dieser Sache stand, und ging deshalb, sobald er seine eigenen Geschäfte erledigt sah, zum Actuar Bessel, der die Leitung der Angelegenheit übernommen hatte.

Als er zu diesem in das kleine Zimmer trat, fand er ihn nicht allein, sondern den Rath Frühbach bei ihm, und dieser mußte ihm wahrscheinlich schon eine Anzahl merkwürdiger Geschichten aus Schwerin erzählt haben, denn Witte hörte gerade noch, als er die Thür öffnete, wie der Actuar sagte:

»Aber ich bitte Sie, mein lieber Herr Rath, daß Sie zur Sache kommen, denn ich bin wirklich beschäftigt.«

»Ja wohl, Herr Actuar, mit Vergnügen – ah, unser Staatsanwalt, der kann mir gleich seinen guten Rath in der Sache geben.«

»In welcher, wenn ich fragen darf?« sagte Witte, eben nicht besonders erbaut von dem Begegnen, denn er wußte aus Erfahrung, wie schwer es manchmal hielt, von dem gefährlichen Menschen wieder abzukommen, während Alles, was er vorbrachte, selten oder nie das geringste Interesse für irgend Jemanden haben konnte.

»Denken Sie nur,« fing der Rath an, »da kaufe ich mir neulich ein Stück Hosenzeug, und meine Frau soll es zum Schneider geben, zu welchem Zweck ich es hinaus in unsern Vorsaal lege; wie es aber die Henriette fortbringen will, ist es nicht mehr da – fort und gestohlen!«

В»Und haben Sie Verdacht auf Jemand Bestimmtes?В«

»Ja, hören Sie nur – es waren uns in der letzten Zeit schon verschiedene Sachen weggekommen: ein silberner Löffel, noch von meiner ersten Aussteuer her, dann ein neusilberner Serviettenring, den aber der Dieb wohl ebenfalls für Silber gehalten hatte, und verschiedene andere Kleinigkeiten; aber es gehen so viele Menschen bei uns aus und ein, daß ich eigentlich keinen bestimmten Verdacht fassen konnte.«

В»Also wollen Sie hier blos die Anzeige machen, daГџ Ihnen ein StГјck Hosenzeug gestohlen oder abhanden gekommen ist,В« sagte der Actuar, der anfing ungeduldig zu werden.

»Bitte, hören Sie nur weiter,« fuhr Frühbach mit der größten Ruhe fort. »Das Hosenzeug hatte ein sehr leicht kennbares Muster, blau, grün und roth carrirt – meine Frau liebt die Farben besonders –, und ich mache mich also auf, um hieher auf die Polizei zu gehen und den Thatbestand anzuzeigen. Wie ich nun