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Hermann und Dorothea

Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe

Hermann und Dorothea

Kalliope

Schicksal und Anteil

"Hab ich den Markt und die Straßen doch nie so einsam gesehen! Ist doch die Stadt wie gekehrt! wie ausgestorben! Nicht funfzig, Deucht mir, blieben zurück von allen unsern Bewohnern. Was die Neugier nicht tut! So rennt und läuft nun ein jeder, Um den traurigen Zug der armen Vertriebnen zu sehen. Bis zum Dammweg, welchen sie ziehn, ist's immer ein Stündchen, Und da läuft man hinab, im heißen Staube des Mittags. Möcht' ich mich doch nicht rühren vom Platz, um zu sehen das Elend Guter fliehender Menschen, die nun, mit geretteter Habe, Leider, das überrheinische Land, das schöne, verlassend, Zu uns herüberkommen und durch den glücklichen Winkel Dieses fruchtbaren Tals und seiner Krümmungen wandern. Trefflich hast du gehandelt, o Frau, daß du milde den Sohn fort Schicktest, mit altem Linnen und etwas Essen und Trinken, Um es den Armen zu spenden; denn Geben ist Sache des Reichen. Was der Junge doch fährt! und wie er bändigt die Hengste! Sehr gut nimmt das Kütschchen sich aus, das neue; bequemlich Säßen viere darin, und auf dem Bocke der Kutscher. Diesmal fuhr er allein; wie rollt es leicht um die Ecke!" So sprach, unter dem Tore des Hauses sitzend am Markte, Wohlbehaglich, zur Frau der Wirt zum Goldenen Löwen.

Und es versetzte darauf die kluge verständige Hausfrau: "Vater, nicht gerne verschenk ich die abgetragene Leinwand, Denn sie ist zu manchem Gebrauch und für Geld nicht zu haben, Wenn man ihrer bedarf. Doch heute gab ich so gerne Manches bessere Stück an Überzügen und Hemden, Denn ich hörte von Kindern und Alten, die nackend dahergehn. Wirst du mir aber verzeihn? denn auch dein Schrank ist geplündert. Und besonders den Schlafrock mit indianischen Blumen, Von dem feinsten Kattun, mit feinem Flanelle gefüttert, Gab ich hin; er ist dünn und alt und ganz aus der Mode."

Aber es lächelte drauf der treffliche Hauswirt und sagte: "Ungern vermiß ich ihn doch, den alten kattunenen Schlafrock, Echt ostindischen Stoffs; so etwas kriegt man nicht wieder. Wohl! ich trug ihn nicht mehr. Man will jetzt freilich, der Mann soll Immer gehn im Surtout und in der Pekesche sich zeigen, Immer gestiefelt sein; verbannt ist Pantoffel und Mütze."

"Siehe!" versetzte die Frau, "dort kommen schon einige wieder, Die den Zug mit gesehn; er muß doch wohl schon vorbei sein. Seht, wie allen die Schuhe so staubig sind! wie die Gesichter Glühen! und jeglicher führt das Schnupftuch und wischt sich den Schweiß ab. Möcht' ich doch auch in der Hitze nach solchem Schauspiel so weit nicht Laufen und leiden! Fürwahr, ich habe genug am Erzählten."

Und es sagte darauf der gute Vater mit Nachdruck: "Solch ein Wetter ist selten zu solcher Ernte gekommen, Und wir bringen die Frucht herein, wie das Heu schon herein ist, Trocken; der Himmel ist hell, es ist kein Wölkchen zu sehen, Und von Morgen wehet der Wind mit lieblicher Kühlung. Das ist beständiges Wetter! und überreif ist das Korn schon; Morgen fangen wir an zu schneiden die reichliche Ernte."

Als er so sprach, vermehrten sich immer die Scharen der Männer Und der Weiber, die über den Markt sich nach Hause begaben; Und so kam auch zurück mit seinen Töchtern gefahren Rasch, an die andere Seite des Markts, der begüterte Nachbar, An sein erneuertes Haus, der erste Kaufmann des Ortes, Im geöffneten Wagen (er war in Landau verfertigt). Lebhaft wurden die Gassen; denn wohl war bevölkert das Städtchen, Mancher Fabriken befliß man sich da, und manches Gewerbes.

Und so saГџ das trauliche Paar, sich unter dem Torweg Гњber das wandernde

Volk mit mancher Bemerkung ergötzend. Endlich aber begann die würdige

Hausfrau und sagte: "Seht! dort kommt der Prediger her, es kommt auch der

Nachbar Apotheker mit ihm: die sollen uns alles erzählen, Was sie draußen gesehn und was zu schauen nicht froh macht."

Freundlich kamen heran die beiden und grГјГџten das Ehpaar, Setzten sich auf die BГ¤nke, die hГ¶lzernen, unter dem Torweg, Staub von den FГ