Die schönsten Geschichten der Lagerlöf
Marie Franzos
Selma Lagerlöf
Selma Lagerlöf
Die schönsten Geschichten der Lagerlöf
Frau Lagerlöf
Die reine Frau hat das innigste Verhältnis zur Dichtkunst. Ihre seelische Veranlagung und ihre dadurch bedingten Aufgaben erhalten sie dem wahrhaft Realen, dem Mysterium des Fühlens, das die Wurzel der Dichtkunst war und ist, näher als den Mann, der vor allem durch die Tat und durch die Arbeit seines Kopfes wirkt, der sich im allgemeinen erst zum Zentrum des Fühlens durchkämpfen muß. Wie den Mann die Bezwingung des weiteren Weges stärkt und sichtet, hält die Nähe des Zieles die Frau, die die treueste Gefolgschaft jeder Kunst ist, entweder vom Selbstschaffen ab (meist zum Segen der Ihren!), oder sie wird, wenn sie selbst schafft, zumeist, gerade durch ihre Weiblichkeit, der Kunst verdorben: sie lernt nicht zu dem ihr Angeborenen zu, sie bleibt seelische Molluske, weil ihrem Werk nicht die Knochen des unerbittlich logischen Denkens, die innere und äußere Form, in voller Kraft zuwachsen. Die schöpferische Frau hat drum hauptsächlich das Gebiet der erzählenden Dichtung, deren Notwendigkeiten, in dieser Hinsicht, verhältnismäßig gering sind. Die Frau fabuliert! Sie erhält den Glauben an den unablässigen, unumstößlichen Sieg des Guten; sie ist, in ihrer reinsten Erscheinung, Märchen und Sage! Alles, was der Kindersinn sehnsüchtig sucht, ist den Frauen vorhanden! Ihr ragendstes Symbol ist mir die genialste selbstschöpferische Frau: die Lagerlöf! Die Lagerlöf schafft der Menschheit schönsten Besitz, Heimatliebe, Kinderliebe, Elternliebe, Gattenliebe, Liebe, mit all ihren unendlichen Schattierungen und Spiegelbildern in der menschlichen Seele, dichterisch zu ragenden Monumenten um. Ihr ist das Wunder an sich Voraussetzung alles Seins. Für sie gibt es keine »erkennende« Wissenschaft, keine »unbelebte« Natur! Wort für Wort ist ihr dieBibel, das Buch der Bücher, wahr; sie erhellt sie, sie übersetzt die Gläubigkeit aller Konfessionen gefühlsmäßig in Kunst. Nach den großen Gesetzen des Welträtsels, des gütigen Schicksals oder Gottes, reden und handeln ihr die Menschen und Tiere. Die Flüsse, Pflanzen und Steine sind ihr Lebewesen mit Seelen. Dieser begnadeten Frau ist das Übersinnliche Selbstverständlichkeit. Alles Schöne geht ihr in Erfüllung. Das Jenseits lebt, es greift entscheidend ins Dasein ein! Die Trolle, Nymphen, Kobolde, Heinzelmännchen und Riesen leben, die Engel schweben auf und nieder, die Brücke bildend für die bedrängten, erlösten Seelen, der Gottessohn steigt, immer wieder, zu uns herab, unter denen er ewig wandelt, damit das Böse stetig Gutes schafft. Es gibt keine Verfemten oder Narren, keine Toren und Krüppel oder Enterbten, es gibt bloß, im schlimmsten Falle, ein Nichtverstehen, ein Aneinandervorbeireden. Dieses menschliche Erbübel beseitigt und führt lächelnd zur Harmonie der Liebe der Lagerlöf großes, unbesiegliches Herz! Überall läßt sie Verzeihung und Gerechtigkeit triumphieren, und was das Wunderbarste ist: diese evangelische Frau steht dabei stets auf dem Boden der höchsten Wirklichkeit! Sie reißt dem Dasein die Maske ab, sie liebt ihm die Maske ab und – Gott sieht uns an! Mit tiefster Menschenkenntnis, mit schärfster Charakterisierungsfähigkeit, mit rührendem Humor, mit verzeihender Schalkhaftigkeit und nie verletzendem Sarkasmus sieht und gestaltet sie die Lächerlichkeit, Nichtigkeit und Schurkenhaftigkeit dieses Seins. Alles Böse und Harte schmilzt in der übermenschlichen Liebe dieser genialen Puppenspielern zu Glück. Ihr hat nur das Leben des Geistes Wert; sie nützt alle Register, sie läßt alle Weltstimmen erbrausen, um die Symphonie der sinngemäßen Läuterung, des Verbundenseins mit dem Himmel des Guten und Schönen, der uns väterlich überwölbt, begnadet und erlöst, laut und sichtbar werden zu lassen. Es liegt an der Stumpfheit, daß die Menschen nicht immer so gesehen werden, wie sie der Lagerlöf erscheinen; sie sind edel, betrachtet man ihr Wichtigstes, entkleidet aller Nebe